Vielseitigste Verwendung
Vom Cornelius-Kirschen-Baum wurde praktisch alles genutzt: Blüten, Blätter, Rinde, vor allem aber das Holz und die etwa 2 cm langen, fassförmigen "Kirschen". Heute ist, zumindest in Deutschland, seine wirtschaftliche Bedeutung stark zurückgegangen; eine gewisse Rolle spielen die Früchte noch zur Herstellung von Edelobstbränden.

Für Marmelade und billige Rosenkränze
In dem umfangreichen Werk Illustrierte Flora von Mittel-Europa von Gustav HEGI, um 1920 erschienen, heißt es, die "Kirschen" würden entweder roh oder kandiert genossen oder mit Zucker oder Essig zu Kompott verarbeitet. Auch Marmeladen, Gallerten und Fruchtsäfte ließen sich daraus bereiten. Die Fruchtsäfte seien unter dem Namen Scherbet besonders im südöstlichen Europa beliebt, namentlich bei den Türken. Im Altertum habe man sie auch unreif mit Salzwasser wie die Oliven eingelegt. Auch als Fischköder würden die reifen Früchte benützt. Aus den Kirschkernen verfertige man billige Rosenkränze. Die im Kern eingeschlossenen Samen könnten geröstet als Kaffee-Ersatz dienen und würden sich dann durch einen vanilleartigen Geruch auszeichnen. Die Kornellen seien in der Türkei früher auch dazu benutzt worden, um den Fes oder Fez, früher eine im Orient und auf dem Balkan weit verbreitete Kopfbedeckung aus Filz rot zu färben. (Ursprünglich kam der Hut aus der marokkanischen Stadt Fès, die in der Haltung der Kermes-Schildlaus eine Art Monopolstellung hatte. Dort wurde er mit dem Blut dieser Laus gefärbt und erhielt dadurch seine charakteristische karminrote Farbe.)
In Dr. Joh. Christ. Mössler’s Handbuch der Gewächskunde von 1833 (3. Aufl., überarb. von H. G. Ludwig) ist noch zu lesen, dass „die im Schatten getrockneten jungen Blätter vermischt mit jungen Sauerkirsch- und wilden Erdbeerblättern einen schmackhaften Thee ergeben.“

Am "Kuchlessunntig" Blütenzweige in Fett gebacken
Das Neue illustrierte Kräuterbuch von Dr. Heinrich MARZELL, Reutlingen 1922, berichtet unter der Kategorie "Volksglaube" über einen alten Brauch in Baden, wo die Kornelkirsche unter dem Namen Dirlitze bekannt war:
"Am Fastensonntag (Invokavit) werden die Burschen durch ihre Mädchen bewirtet; er wird ’Kuchlessunntig’ genannt. Aus der Mode ist der ’Kuechlestruß’, feine Zweige (dünner Blütenzweig) vom Derlitzenkirschbaum, der in Teich getaucht und in kochendes Fett zum Backen gehalten wurde (Baden; Meyer 1900, 210)."

Inbegriff für Dauerhaftigkeit, Glücksbringer
In dem Buch Kraftcocktail Kornelkirsche von Eduard GUGENBERGER wird davon berichtet, dass die Kornelkirsche wegen ihrer Robustheit in der kaukasischen Überlieferung gleichsam ein Inbegriff für Dauer und Beständigkeit ist. Auch in der orientalischen und balkanischen Welt versinnbildliche die Pflanze bis heute Durchhaltekraft, die auch auf den Menschen übertragen werden könne. So würden zum Beispiel in Bulgarien ihre Zweige als Heils- und Glücksbringer gelten. Am 1. Weihnachtstag zögen dort "Weihnachtsjungen" mit geschmückten Zweigen der Kornelkirsche von Haus zu Haus und schlügen damit symbolisch Erwachsene, um ihnen Gesundheit, Erfolg und Glück zu wünschen. Dafür gebe es dann Süßigkeiten oder Kleingeld. Auch in der Silvesternacht, am Neujahrstag und am Dreikönigstag seien Kinder und junge Männer unterwegs, um mit Ruten der Kornelkirsche dämonische Kräfte auszutreiben. Ähnliche Bräuche gäbe es in der Türkei, wo ihre Zweige auch in Liebesdingen Glück, Festigkeit und Dauerhaftigkeit bringen sollen.

Professor Ivaylo Naydenov von der Universität Sofia berichtete (2009) dem Verfasser mündlich von einem weiteren Brauch in Bulgarien. In seiner Heimat Kalofer auf der Südseite des mittleren Balkan umwickelt man zu Sylvester die Knospen von Zweigen der Kornelkirsche mit einem kleinen Zettel, auf dem ein kurzer Wunsch für das neue Jahr geschrieben steht, z. B. gute Gesundheit, viel Liebe usw. Die Knospen mit dem Zettel werden in einen großen runden Kuchen eingebacken. Beim Anschneiden des Kuchens versucht jeder in der Familie, ein Kuchenstück mit Knospe zu bekommen. Er liest dann laut vor, welcher Wunsch auf dem Zettel in seinem Kuchenstück geschrieben steht. Dann legt jeder seine Kornelkirschenknospe auf eine warme Herdplatte. Wer die Knospe hingelegt hat, die sich als erste öffnet, bekommt vom Familienoberhaupt, Vater oder Großvater, ein kleines Geschenk.

Die Rinde diente zum Färben und Gerben
Das dichte und harte Holz des Kornelkirschbaums mit rötlichweißem Splint und dunklem Kern ist politurfähig und schwer spaltbar. Es diente vor allem in der Drechslerei und Wagnerei zur Herstellung von Werkzeugen, Radspeichen, Schusternägeln, Messergriffen, Hammerstielen, mathematischen Instrumenten, Kämmen sowie zur Erzeugung von Holzkohle. Auch Zahnräder in Mühlwerken wurden vorzugsweise aus dem festen Holz hergestellt. Da es aber stark schwindet, verlangt es sorgfältiges Trocknen. Rinde, Holz und Blätter enthalten Gerbstoffe, die zum Färben benutzt wurden. Mit Alaun und Pottaschenlauge soll die Rinde eine braune Lackfarbe ergeben. Dr. Joh. Christ. Mössler’s Handbuch der Gewächskunde von 1833 (3. Aufl.) differenziert bei den Färbeeigenschaften so: „Die Rinde der Wurzel färbt rosenrothbraun; die Rinde der Zweige gelb; und das Holz die Wolle braun.“ Die Borke mit ihrem 7–16-%igen Lohgehalt eignet sich besonders zum Gerben.

Auch für orientalische Musikinstrumente
Wie Eduard GUGENBERGER in seinem Buch Kraftcocktail Kornelkirsche (S. 92) berichtet, werden für die Dhol, eine im Osten weit verbreitete Trommel, als Stöcke vor allem solche aus Kornelkirschenholz verwendet, weil sie hart und zugleich elastisch sind. Auch die Kaval, eine bulgarische Flöte mit vier unterschiedlichen Registern, sei außer dem Mundstück zumeist aus Kornelkirschenholz gefertigt. Das harte Holz verleihe der Flöte den für sie typischen orientalischen Klang.


In Deutschland außer Gebrauch gekommen
Laut Hegi kamen die Kornelkirschen in klimatisch günstigen Jahren bisweilen massenhaft auf den Markt, so in München 1914 und 1918, wobei 1918 das Pfund mit 60 Pfennig, also sehr teuer bezahlt wurde. Heute dürfte es zweifelhaft sein, ob überhaupt noch irgendwo in Deutschland Kornelkirschen auf einem Markt angeboten werden. Anders ist es im ehemaligen Jugoslawien. Insbesondere auf den Märkten in Serbien ist es noch heute im Herbst ein gewohntes Bild, wie Frauen in großen Körben selbstgepflückte Kornelkirschen zum Verkauf anbieten.
Wie haben sich insoweit die Verhältnisse in Deutschland gewandelt! Eine Lehrerin an einer Münchener Grundschule berichtet, wie sie beobachtete, dass jugoslawische Kinder ihrer Klasse Kornellen von den als Begrünung der Schule gepflanzten Kornelkirschensträuchern pflückten und aßen. Als sie dann selbst davon aß, wurde sie von Kollegen gewarnt, diese roten Früchte seien doch sicherlich ungenießbar, wenn nicht sogar giftig. Selbst gebildete Menschen wissen also nicht mehr, dass ein bei ihnen heimischer Strauch essbare und früher sehr geschätzte Früchte trägt.


Das Trojanische Pferd: aus Kornelkirschenholz
In der Antike kamen verständlicherweise die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten des Kornelbaumes weit stärker zur Geltung als heute. Laut Prof. Dr. WARBURG in der Pflanzenwelt, 1926. 3. Bd., hat man schon in italienischen Pfahlbauten der Jungsteinzeit und Bronzezeit ebenso in Österreich Kerne der Kornelkirschen gefunden, und zwar ganze Schichten. Offenbar waren sie ein wichtiger Teil der damaligen Nahrung. Daneben machte man sich das feste, elastische Holz des Kornelbaums zu Nutze. Dies wird besonders deutlich in einem der großen Mythen des Altertums. Schenkt man nämlich dem griechischen Schriftsteller Pausanias aus dem 2. Jh. Glauben, dann war das Trojanische Pferd, mittels dessen Odysseus und seine Mannen Troja eroberten, aus dem Holz der Kornelkirsche gezimmert.

Blut des Gemordeten quoll aus den Ästen
In den Geschichten vom Trojanischen Krieg spielte die Kornelkirsche bei dem jüngsten Sohn des Königs von Troja, Priamus, ein besonders grausliche Rolle. Nach einer der überlieferten Versionen hatte der König diesen Sohn namens Polydoros wegen der Kriegswirren nach dem nordöstlich von Griechenland gelegenen Thrakien geschickt, weil er ihn dort in Sicherheit glaubte. Der Herrscher Thrakiens schlug sich dann aber auf die Seite der griechischen Sieger und ließ Polydoros umbringen. Seine Krieger streckten mit ihren Speeren, die, wie damals üblich, aus dem zähen Holz der Kornelkirsche gefertigt waren, den wehrlosen Polydoros nieder. Doch die Schäfte der Mordwaffen schlugen Wurzeln, und vom Blut des unbestatteten Jünglings genährt, konnte selbst noch das tote Holz der Speere ergrünen. Ein Kornelkirschenstrauch wuchs daraus heran.
Später landete Äneas, der mit wenigen Gefährten dem Massaker von Troja entkam, auf seiner Flucht zunächst an der Küste Thrakiens. Dort wollten sie als erstes den Göttern opfern. Für das nötige Brennholz bot sich ein Dickicht aus Kornelkirschen an. Als sie jedoch die ersten Äste brachen, quoll Blut daraus. Als weiteres grausiges Zeichen hörten sie dann eine Stimme, die sich als Geist des Polydoros zu erkennen gab. Genau hier war der Mord geschehen.

„Grad ins Gesicht er gebohret die ungestählte Kornelle“
Das Holz des Kornelbaumes war durch seine Festigkeit und Zähigkeit wie kein anderes zur Herstellung von Speeren und Lanzen geeignet. Bei den alten Griechen und Römer war diese Verwendung so üblich, dass verschiedene Dichter des Altertums in ihren Metaphern nicht mehr von der Lanze sprachen, sondern von der Kornelkirsche, die der Krieger dem Feind entgegenschleuderte, ähnlich wie bei Dichtern späterer Generationen nicht vom Schwert, sondern vom Eisen die Rede ist. So auch Ovid in seinen in den Jahren 2–8 n. Chr. entstandenen Metamorphosen oder Verwandlungen. Statt schlicht "Schwang die Lanze" zu sagen, heißt es in der sehr wortgetreuen Übersetzung von Johann Heinrich VOSS aus dem Jahre 1798: "Schwang die mit Erz vorblinkende Last der Kornelle." An anderer Stelle spricht er etwas verständlicher vom "kornellenen Schaft". In einer Übersetzung des 12. Buches (Die Lapeten und Zentauren, Verse 449—451) ist zu lesen: „...dem Traber Oiklus grad ins Gesicht er gebohret die ungestählte Kornelle“. Gemeint ist eine Lanze aus Kornelkirschenholz ohne stählerne Spitze.
Die Übersetzung derselben Stelle durch den deutschen Altphilologen Reinhard SUCHIER (1823—1907) ist nicht einfacher: " ... der vorn in des Trabers Ochekles Antlitz trieb, obwohl ihr die Spitze gebrach, die Kornelle."

Der Bogen des Odysseus daraus gefertigt
Offenbar wurden bei den Römern die Äste der Kornelkirsche auch zur Herstellung von Bögen verwendet, damals noch eine wichtige Kriegs- und Jagdwaffe. So wird im "Mühlmann" (Lateinisch-deutsches Wörterbuch, 45. Aufl., 1949) für die Anwendung des Adjektivs cornéus im Sinne von "aus der Kornelkirsche" als Beispiel arcus cornéus (= der Bogen aus Kornelkirschenholz) angegeben.
Die Verwendung der Kornelkirsche für diesen Zweck hatte in der Antike ein prominentes Vorbild: Der legendäre Bogen des Odysseus, den nur er spannen konnte, soll nämlich ebenfalls aus dem Holz der Kornelkirsche gefertigt worden sein.

Anteil an den Eroberungen Alexanders des Großen
Geradezu militärhistorische Bedeutung erhielt das Holz der Kornelkirsche dadurch, dass König Philipp II. von Makedonien (382–336 v. Chr.) die Phalanx als neue Schlachtordnung für seine Infanterie einführte. Sie war mit bis zu 6 m langen Lanzen ausgerüstet, die an beiden Enden eine Spitze hatten. Diese Sarissen genannten Lanzen, deren Erfindung Philipp II. zugeschrieben wird, konnten nur aus Kornelkirschenholz angefertigt werden. Der Einsatz der sarissenbewehrten Phalanx hatte erheblichen Anteil daran, dass Philipps Sohn, Alexander der Große (356–323 v. Chr.), die gegnerische Kavallerie besiegen und so seine gewaltigen Eroberungen machen konnte. (www.wikipedia.de vom 28.8.2006: Kornelkirsche,10.1 Zeugnisse aus der Antike, Sarissa (Waffe)

Für die Götter eingemachte Kornellen
In Ovids Schilderungen des Goldenen Zeitalters ernährt sich die bessere und friedlichere Hälfte der Menschheit von Erd- und Brombeeren sowie von Kornellen. Als die Götter Zeus und Hermes unerkannt bei dem alten Ehepaar Philemon und Baucis einkehren, setzen diese ihnen eingemachte Kornelkirschen vor. Eingemachte Kornellen dürften auch noch in jüngerer Zeit den Speiseplan bereichert haben. Die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste von 1829 führt nämlich an, dass die "Corneliuskirschen" in unreifem Zustand "mit Lorbeerblättern und Fenchelsamen in Salzwasser eingelegt, wie Oliven gegessen werden können"; Kornellen sozusagen als Olivenersatz.

... und als Schweinefutter
Keineswegs war aber die Kornelle in der sagenhaften Antike den Göttern vorbehalten. Es muss sie in so großen Massen gegeben haben, dass sie auch als Viehfutter Verwendung fand, vor allem in der Schweinemast. So heißt es bei Homer im 10. Gesang der Odyssee in der bekannten Szene, in der die Zauberin Kirke einen Teil der Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt (Übersetzung von Johann Heinrich Voß von 1793, Vers 241ff.):
"Weinend ließen sie sich einsperren, da schüttete Kirke
Ihnen Eicheln und Buchenmast, und rote Kornellen
Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine".
(Enttäuscht war daher der Verfasser, als er im Oktober 2007 mit einer Reisegruppe die Westtürkei von Istambul bis Antalya bereiste und dabei auch Troja und anderer historische Orte besuchte: Er konnte keine Kornelkirschen entdecken, weder in der freien Landschaft noch in Parks. Wo sind sie geblieben? Auch der türkische Reiseleiter, ein ansonsten sehr kundiger Mann, schien den Strauch nicht zu kennen.)
Auch in der Neuzeit scheint die Verfütterung von Kornelkirschen an Schweine noch in Übung gewesen zu sein. So heißt es in der Oekonomischen Encyklopädie von J. G. KRÜNITZ (www.kruenitz1.uni-trier.de) unter dem 1789 bearbeiteten Stichwort Kornel=Baum, dass "die Frucht von den Einwohnern an der Mosel und andern Orten, zum Mästen der Schweine gebraucht" wird .


Odysseus doch nicht in Schottland?
Schon in Homers Gesängen wird die Kornelkirsche als Nahrung genannt, jedoch eher für Schweine. So heißt es an der vorstehend zitierten Stelle der Odyssee in der berühmten Übersetzung von Voß, dass die Zauberin Kirke den in Schweine verwandelten Gefährten des Odysseus "Eicheln und Buchenmast und rote Kornellen" zum Fressen gab.
Homers Erwähnung der Kornelle an dieser Stelle könnte jedoch ein bewundernswertes, scharfsinniges Gedankengebäude zum Einsturz bringen. Dr. Hans STEUERWALD, Richter am Berliner Kammergericht, hatte 1978 in dem Buch Weit war sein Weg nach Ithaka — neue Forschungsergebnisse beweisen; Odysseus kam bis Schottland diese Theorie aufgestellt und durch unzählige Fakten untermauert. Danach soll Kirke auf der Insel Fair im Norden Schottlands gewohnt haben.
Der Verfasser nahm Steuerwalds Buch 1999 mit auf eine Schottlandreise und wollte die gewagte Theorie an Ort und Stelle nachvollziehen. Zunächst eine Enttäuschung: In Schottland an den angeblichen Orten von Odysseus Aufenthalt, war das Buch unbekannt; es ist leider nie ins Englische übersetzt worden. Da sich der Verfasser wegen seines Namens näher mit der Kornelkirsche befasst hatte, waren ihm bei der Lektüre gleich Zweifel gekommen. War ihm doch geläufig, dass die nördlichste Verbreitung der Kornelkirsche auf der Linie Jena - Bonn - Brüssel lag und nicht bis Großbritannien hinaufreichte. Nachforschungen vor Ort bestätigten diese Zweifel. Heute gibt es zwar die Kornelkirsche in Schottland, aber angepflanzt; sie war dort nie heimisch.
Oder gab es sie dort doch vor gut 3.000 Jahren, als die Irrfahrten des Odysseus vermutlich stattgefunden haben? Vielleicht aufgrund besserer Klimaverhältnisse, denn vor 7.000 bis 5.000 Jahren sollen die mittleren Jahrestemperaturen wahrscheinlich um 1 bis 2 Grad über den heutigen Werten gelegen haben? Dieser Beweis müsste aber noch geliefert werden.

Scheitert nun Steuerwalds Theorie an der kleinen Kornelkirsche?

Als der Verfasser Anfang 2010 die neueste Ausgabe des Standardwerks ZANDER, Handwörterbuch der Pflanzennamen, - es war die 18. Auflage von 2008 - nach Cornus und speziell nach Cornus mas ( = Kornelkirsche) durchsah, entdeckte er dort einen Zusatz: "nat. in BrI". Er bekam einen leichten Schrecken. Hatte er Steuerwald zu Unrecht angezweifelt? Dann die Erleichterung. Bei genauerer Durchsicht der Einführung ergab sich, dass dort nicht etwa gemeint war "natürliches Vorkommen auf den Britischen Inseln". Vielmehr ist "nat." die Abkürzung für das englische Wort naturalized = eingebürgert. Also eine weitere Bestätigung dafür, dass Steuerwald nicht richtig liegt.


Auch bei der Gründung Roms dabei
Nach römischer Überlieferung hat noch zur Zeit von Kaiser Caligula, der von 37 bis 41 n. Chr. regierte, auf dem Palatin, einem der sieben Hügel Roms, ein uralter Kornelkirschenbaum gestanden. Er war bekannt unter dem Namen Cornus Romuli (= Kornelkirsche des Romulus) und ist sogar noch im Universal-Lexikon von 1858 als eigenes Stichwort aufgeführt. Dieser soll seinen Ursprung darin gehabt haben, dass bei der sagenhaften Gründung Roms im Jahre 753 v. Chr. (Schülermerkvers: Sieben-fünf-drei – Rom kroch aus dem Ei) durch die Zwillinge Romulus und Remus dort Romulus seine Lanze als Grenzzeichen für die Stadt in den Boden stieß. Diese war, wie damals üblich, aus dem Holz der Kornelkirsche gefertigt. Die Lanze soll dann - als Zeichen für die geglückte Gründung - ausgeschlagen sein und sich zum Baum entwickelt haben. Auch andere römische Städte sollen auf ähnliche Weise von den römischen Auguren mit einem Stab aus Kornelkirschenholz als Ausrichtungspunkt gegründet worden sein.

Es gibt noch eine zweite Version der Geschichte des Cornus Romuli, ebenfalls wiedergegeben in der oben zitierten Oekonomischen Encyklopädie von J. G. KRÜNITZ. Dort heißt es unter Berufung auf den griechischen Schriftsteller Plutarch (gest. um 125):
"Der Cornus Romuli war ein berühmter Kornel=Baum in dem zehenten Quartiere der Stadt, welcher aus dem von Kornel=Holz verfertigten Schafte eines Spießes entstand, welchen Romulus auf einer Jagd auf dem aventinischen Berge nach einem wilden Schweine warf, und der auf den palatinischen Berg fuhr, wo er so fest stecken blieb, daß ihn niemand aus der Erde ziehen konnte. Hier faßte er Wurzel, und ward ein bey den Römern für sehr heilig geachteter Baum, den sie mit einer Mauer umzogen. Daher auch, wenn etwann jemand meinte, es fehle ihm an Wasser, und solches Andern sagte, sofort ein Zulauf der Leute mit Wasser erfolgte, als ob irgendwo eine Feuersbrunst zu löschen wäre.
Als der Kaiser Caligula eine Treppe dabey anlegen lassen wollte, wurden seine Wurzeln von den unvorsichtigen Arbeitsleuten dermaßen beschädigt, daß er verdorrete, nachdem er also 790 Jahr gestanden hatte."
Besser kann man wohl das starke Ausschlagvermögen der Kornelkirsche nicht illustrieren. Man macht sich dies noch heute zu Nutze, indem man die Kornelkirsche als Hecke pflanzt, die sich leicht beschneiden lässt.
Hinsichtlich des 800-jährigen Alters des Kornelbaumes auf dem Palatin kann man allerdings gewisse Zweifel hegen. In heutigen Pflanzenbüchern wird sein Höchstalter meist mit 100 Jahren und mehr angegeben (vgl. Kapitel: 250-jähriges Exemplar in Eisleben). Im Übrigen soll die Kornelkirsche den Römern wegen ihres roten Farbstoffes heilig und dem Kriegs- und Fruchtbarkeitsgott Mars geweiht gewesen sein.


Schade Prof. Schadewaldt: keine Wildkirsche!
Nochmals Homers Odyssee. Neben der "klassischen" Übertragung ins Deutsche durch Johann Heinrich Voß von 1781, die die deutsche Sprache mitgeprägt hat, gilt die Übersetzung durch Professor Wolfgang Schadewaldt (1900-1974) von 1958 als die beste. Viele Jahre hatte er als Ordinarius an der Universität Tübingen den Lehrstuhl für Klassische Philologie inne. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Altphilologen und wirkungsvollsten Vermittler antiker griechischer Literatur im 20. Jh. Mit vielen hohen Auszeichnungen bedacht, markierte er einen Höhepunkt in der Homerforschung (Wikipedia vom 17.12.2008).

Schlägt man nun in seiner berühmten Übersetzung - anders als bei Voß in Prosa - die Stelle auf, in der die Zauberin Kirke die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt und ihnen Eicheln, Bucheckern und Kornelkirschen zum Fraß vorwirft, heißt es bei ihm nicht Kornelkirschen oder "Kornellen", sondern
"Frucht der Wilden Kirsche".

Warum?
Soweit der Verfasser dies nachprüfen konnte, wird in anderen Übersetzungen, auch in andere Sprachen, jeweils das entsprechende Wort für Kornelkirsche verwandt, botanisch Cornus mas. Die Kornelkirsche ist aber trotz des Namens botanisch keine Kirsche, auch keine Wildkirsche. Sie gehört einer ganz anderen Ordnung im Pflanzenreich an, nämlich den Cornales, während die Wildkirsche, botanisch Prunus, zu den Rosales, den Rosengewächsen, gehört.

Haben vielleicht Schadewaldts Forschungen ihn zu der Erkenntnis geführt, dass mit dem von Homer verwendeten Wort nicht die im Altertum zu den verschiedensten Zwecken verwendete Kornelkirsche gemeint war. Dafür liegen dem Verfasser keine Anhaltspunkte vor. Erst in der 3. Auflage des Etymologischen Wörterbuchs der botanischen Pflanzennamen von Helmut GENAUST aus dem Jahre 1996 wird vor einer breiteren Öffentlichkeit geäußert, dass im antiken Schrifttum teilweise statt der Kornelkirsche die Vogelkirsche, eine Wildkirsche (botanisch Prunus avium), gemeint sein könnte.
War es vielmehr schlichtweg so, dass Schadewaldt als Altphilologe - ähnlich wie im obenstehenden Kästchen am Fall des Juristen Dr. Steuerwald dargestellt - wenig mit dem Begriff Kornelkirsche anzufangen wusste und ihn für den Leser vermeintlich einfacher, aber falsch, mit Wildkirsche übersetzte?




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