Helfer bei der Kornelkrankheit
Neben seiner Rolle als Beschützer des Viehs war Cornelius lange Zeit der wichtigste Heilige bei der Fallsucht (Epilepsie) und anderen Nervenkrankheiten. Seine Anrufung bei dieser Krankheit war so populär, dass die Epilepsie auch als "Kornelkrankheit" oder "Corneliuskrankheit" bekannt war. So heißt es in dem Werk Heilige und Selige der röm.-kath. Kirche von Franz von SALES DOYÉ (1929), Cornelius sei "Patron gegen Epilepsie (Kornelkrankheit), weil die Bollandisten* von vielen derlei Heilungen erzählten". Auch das Lexikon der christlichen Ikonographie (1974) spricht in diesem Zusammenhang von der "Kornelkrankheit". In den Niederlanden wurde sie Corneliuseuvel genannt.
(*Gelehrtenkreis des Jesuitenordens, der das Werk des belgischen Kirchenhistorikers Jean Bolland (1596–1665) an den Acta Sanctorum (= Taten der Heiligen) fortsetzt.)

Als grobe Regel kann gelten: In den romanisch sprechenden Ländern war Cornelius - wohl wegen der sprachlichen Gleichheit von Corn = Horn = Hornvieh - vor allem der Patron bei Viehkrankheiten, während im niederländisch/deutschsprachigen Raum die Hilfe bei der Fallsucht im Vordergrund stand. Die Verehrung als Fallsuchtpatron trat erst relativ spät auf, im allgemeinen erst im 15. Jahrh. und später. Sie war besonders stark mit volkstümlichen Brauchtum durchsetzt, weil die Epilepsie bis in die jüngste Zeit geheimnisvoll und von magischen Kräften verursacht erschien.

Die "heilige Krankheit"
Schon im Altertum schrieb der berühmte Arzt Hippokrates von Kos (460–375 v. Chr.) ein Traktat über die Epilepsie mit dem Titel Über die heilige Krankheit (= morbus sacer). Man nahm an, dass sich in den wirren Wimmerlauten des "Ergriffenen" (griechisch: epileptos) die Stimme Gottes offenbarte. Nach anderen Quellen galt sie als "heilige Krankheit", weil manche Epileptiker vor dem Anfall eine so genannte Aura verspüren, ein tranceähnlicher Zustand, bei dem Wahrnehmungen auftreten können, die dem normalen Wachbewusstsein nicht zugänglich sind. Im Mittelalter dagegen behauptete man, Menschen mit Epilepsie seien vom Teufel oder von Dämonen besessen. Die Krankheit galt lange als unheilbar und ist bis heute nicht voll erforscht. Erst 1857 fand man in Bromkali ein Mittel zur Bekämpfung. Inzwischen gibt es rund ein Dutzend wichtige antiepileptische Wirkstoffe. Man schätzt, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall bekommen. Bei knapp einem Prozent treten die Anfälle wiederholt auf. Rund 80 Prozent der Betroffenen kann heute durch Medikamente geholfen werden, anfallsfrei zu werden oder die Häufigkeit und Intensität der Anfälle zu reduzieren. Für etwa fünf Prozent kommt die Hirnchirurgie in Betracht, wobei die Chance, dadurch anfallsfrei zu werden, wiederum bei rund 80 Prozent liegt. Große Fortschritte bei der Ursachenforschung wurden durch die Kernspintomographie gemacht.
Aus der früher häufigen Erwähnung der Epilepsie kann man schließen, dass sie im Altertum und in früheren Jahrhunderten verbreiteter war als heute oder zumindest ein viel stärker diskutiertes Problem darstellte, da es kein wirksames Heilmittel gab. Große Persönlichkeiten und Berühmtheiten wie der heilige Apostel Paulus, Julius Cäsar (der auch mitten in der Schlacht schwere epileptische Anfälle hatte), Napoleon Bonaparte, Fjodor Dostojewski, Alfred Nobel, Vincent van Gogh und Niccolo Paganini sollen von ihr befallen gewesen sein. Um etwas gegen die Krankheit zu tun, griff man zu den seltsamsten Mitteln. Wie berichtet wird, sah man in Berlin noch zu Zeiten Friedrichs des Großen, also im 18. Jahrh., das frische Blut von Enthaupteten als unfehlbares Mittel an. Auch noch im 19. Jahrh. wurde empfohlen, Betroffenen Lindenblütentee zu verabreichen, versetzt mit drei Tropfen Blut eines schwarzen Katers. Heute sind die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld eine der führenden Zentren in Europa zur Behandlung und Rehabilitation von Epileptikern, insbesondere im Kindesalter. (www.bethel.de mit Einzelheiten).

Von der Epilepsie zu anderen (Kopf)krankheiten
Das Volk trennte in der Vergangenheit nicht stark zwischen der Geheimnis umwobenen Epilepsie und Krankheiten mit ähnlichen Erscheinungsformen. So wurde Cornelius angerufen bei allen krampfartigen Anfällen bis hin zu Keuchhusten mit seinen krampfartigen Erstickungsanfällen. Da man ihren Ursprung im Kopf sah, rief man schließlich bei allen Erkrankungen des Kopfes wie Ohrenschmerzen, Blindheit, Schlaganfall bis hin zum Hals Cornelius als Helfer an. Im 2003 erschienenen Werk Der große Namenstagskalender von Jakob TORSY und Hans-Joachim KRACHT heißt es, Cornelius sei "Patron der Bauern, der Rinder; gegen Fallsucht, Krämpfe, Ohrenleiden". Traten ähnliche Erscheinungsbilder beim Vieh auf, galt das gleiche, insoweit völlig unabhängig von seinem Patronat für das Hornvieh. So wurde Cornelius laut Prof. Zender in den belgischen Orten Aalbeke bei Menen, Rossem bei Wolverthem, in Bekkerzeel und Erps als Schutzpatron gegen Hühnerkrankheiten angerufen, in Freilingen bei Bitburg als Helfer gegen Pferde- und Schweinekrankheiten (vgl. Kapitel "Übersicht: Verehrung und Bräuche" weiter hinten). .

Warum Patron gegen die Fallsucht?
Bei der Fallsucht ist die Erklärung des Patronats nicht so eindeutig wie beim Beschützer des Hornviehs. Auch hier gibt die Lebensgeschichte des Heiligen keinen Anlass für eine direkte Beziehung. Das Schrifttum schweigt sich zu dieser Frage weitgehend aus. In der Kurzen Lebensbeschreibung des hl. Cornelius im Boekje ter ere van St. Cornelius (weiter vorn unter "Sein Leben - populär gefasst" wiedergegeben) taucht lediglich der Satz auf: "Ja, selbst viele Abgefallene, gequält von der fallenden Krankheit, bedauerten ihren Abfall und fanden bei ihm (gemeint ist Papst Cornelius) Genesung an Leib und Seele." Könnte die Erklärung vielleicht darin liegen, dass eine der wichtigsten Taten dieses Papstes darin bestand, dass er für die - vom Glauben - Abgefallenen eintrat und daher auch als Fürsprecher für die an der Fallsucht Leidenden ausgewählt wurde? In der Cornelius-Litanei der Pfarre Lamersdorf, Kreis Düren, wird von der "fallenden Krankheit" gesprochen. Im Niederländischen heißt Fallsucht vallende ziekte, die Abgefallenen afgevallenen.
Die Anrufung des hl. Cornelius bei Nervenleiden allgemein könnte man vielleicht damit erklären, dass die "fallende Krankheit" als eine Nervenkrankheit angesehen wurde. Wenn Cornelius bei einer so spektakulären Nervenkrankheit half, konnte er wohl auch bei allen anderen helfen. In großem Umfang wurde Cornelius um Hilfe angerufen bei ignis ardens (= brennendes Feuer), eine durch den Mutterkornpilz hervorgerufene, mit Wahnvorstellungen verknüpfte Krankheit. Sie war früher relativ häufig, weil das Getreide nicht gründlich gereinigt werden konnte. Eine andere Erklärung wäre die, dass laut Legende Cornelius eine Nervenkranke geheilt hat. So heilte er nach der oben erwähnten Kurzen Lebensbeschreibung Sallustia, die Frau des Hauptmanns Cerealis, die "15 Jahre bettlägerig war durch Lähmung infolge einer Nervenkrankheit".

Kopf als Sitz der Nervenkrankheiten angesehen
Prof. Zender, dem in Fragen volkstümlicher Heiligenverehrung wohl höchste Autorität zukommen dürfte, bezieht klar Stellung: "Cornelius wurde nur deswegen Helfer bei Fallsucht, weil sein Haupt in Kornelimünster aufbewahrt wird." Er verweist auf ähnlich gelagerte Fälle, nämlich den hl. Apollinaris in Remagen, der ebenfalls wegen Fallsucht angerufen wird, weil sich dort sein Haupt befindet, und auf Johannes den Täufer, im Mittelalter Helfer bei Kopfleiden und Krämpfen, weil er enthauptet worden war. Häufig würden Johannes der Täufer und Cornelius im Rheinland gemeinsam als Fallsuchtspatrone verehrt, wobei mit der Zeit Johannes durch Cornelius ersetzt worden sei.
Man kann somit wohl davon ausgehen, dass Cornelius aus einem doppelten Grund als Patron der (im Kopf angesiedelten) Fallsucht und Nervenkrankheiten angerufen wurde: Weil er (der Legende nach) enthauptet worden war und weil am Hauptort seiner Verehrung, in Kornelimünster, sein Haupt aufbewahrt wurde. Wie weit die anderen vorstehend genannten Punkte (Einsatz für die vom Glauben "Abgefallenen" und Heilung der nervenkranken Sallustia) eine Rolle spielten, bleibt mangels weiterer Anhaltspunkte offen. Der hl. Valentin, der am Mittelrhein und in der Trierer Gegend bei Fallsucht angerufen wurde, ist nach Zender schlichtweg deswegen zum Fallsuchtpatron geworden, weil sein Name "Fallen" beinhaltet. Wie Zender weiter ausführt, blieben bei Cornelius in Sachen Fallsucht volkstümliches Brauchtum und Volksglaube viel lebendiger als bei anderen Heiligen. Diese volkstümliche Grundlage sei "weitgehend Antrieb für die Entwicklung und Verbreitung des Corneliuskultes" gewesen. Da es vor allem um Hilfe gegen körperliche Gebrechen ging, beim Menschen wie beim Vieh, sei die Corneliusverehrung im hohen und späten Mittelalter nicht von kirchlichen Kreisen, sondern vom Volk getragen gewesen.
Es gab noch andere Heilige, die bei der Epilepsie angerufen wurden. So ist aus der Hocheifel und aus Flandern eine Dreiergruppe bezeugt, bestehend aus den Heiligen Cornelius, Aegidius und Lambert. Bei der viel besuchten Echternacher Springprozession am Pfingstdienstag, die seit dem 15. Jahrh. existiert, wird der hl. Willibrord, der 739 in Echternach im heutigen Luxemburg starb, vor allem als Helfer bei der Epilepsie verehrt.
Im Übrigen glaubte man von Cornelius wie von vielen anderen Heiligen, dass sie nicht bloß die Fallsucht hinweg nehmen, sondern sie auch geben könnten, falls sie beleidigt oder nicht den richtigen, für sie gebräuchlichen Formen entsprechend geehrt würden. Dieser Glaube wird laut Prof. Zender für Cornelius z. B. bei Erasmus von Rotterdam (1469–1536) bezeugt.


Sein Haupt an vielen Orten
Neben Kornelimünster beanspruch(t)en auch andere Orte, das Haupt des hl. Cornelius zu besitzen. So führt eine gefälschte Urkunde, das so genannte Silvester-Agritiusdiplom, in den Gesta Trevirorum bereits um 1000 unter den angeblich von der hl. Helena, der Mutter Kaiser Konstantins des Großen, und Bischof Agritius nach Trier gebrachten Reliquien das Haupt des Cornelius auf. Auf diese Nachricht könnte die alte Corneliuskapelle im Bereich des Trierer Domes zurückgehen. Darüber hinaus glaubten in der Trierer Gegend zwei Zisterzienserinnenklöster, nämlich in Machern a. d. Mosel und auf dem Helenenberg bei Trier, im Besitz seines Hauptes zu sein, und zwar schon seit dem 13. Jahrh. Auch in der Klosterkirche St. Veit im bayerischen Freising befand sich laut einer Urkunde bereits aus dem Jahre 860 eine Kopfreliquie des hl. Cornelius (und des hl. Cyprian), die bis 1803 an bestimmten Festtagen ausgestellt wurde. Ferner glaubten laut Prof. Zender Rom, Compiègne, Ninove, Aalbeke, S. Nikolas (Waes), Webbekom, Kortrijk und Herdecke das Haupt des Heiligen oder doch Teile davon zu besitzen. Als Erklärung für dieses Phänomen vermutet Zender, bei den meisten dieser Orte sei die Entwicklung in umgekehrter Reihenfolge verlaufen: Da der Heilige dort vor allem wegen der Fallsucht verehrt wurde, habe dies zu der Annahme geführt, man besitze das Haupt.
Überhaupt war der Volksglaube bei der Herkunft von Reliquien oft großzügig. So gibt es den Begriff der "Berührungsreliquien". Man meinte, durch das Berühren eines Gegenstandes mit einer Reliquie gehe deren Kraft auf diesen Gegenstand über und es entstehe dadurch auch wieder eine Reliquie.

Weiter zum nächsten Kapitel: Einer der vier Marschälle
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zurück zur Zeittafel